Monday, August 19, 2013

Erstens kommt es anders

... und zweitens als man denkt.

Was war ich mir sicher, dass unsere Tochter auf die Deutsche Schule gehen würde. So was von sicher. Irgendwann nach dem letzten Blog-Eintrag im April kam dann endlich der heiß-ersehnte Brief von der Schule. Selbstredend mit einer Absage. Im Sinne von: wie immer war die Nachfrage groß, leider konnten wir Ihrem Kind keinen Platz anbieten. Wir wünschen Ihnen alles Gute. Ich kochte, tobte und war verzweifelt. Ich hatte das eindeutige Gefühl, als Elternteil vollkommen versagt zu haben und meine Tochter im Stich gelassen zu haben. Nie, nie, nie würde dieses Kind, das neben Schwedisch ja eigentlich ziemlich gut Deutsch spricht und wenn es sein muss auch Englisch, also nie würde dieses Kind 100-% Zweisprachler werden. Kein doppelter Schulabschluss. Kein gemütlicher Altbau aus Backsteinen mit nur zwei Klassen pro Jahrgang. Alles ganz entsetzlich. Der Herzallerliebste blieb (schwedisch) pragmatisch und rief bei der Schule an. Warum man das Kind nicht angenommen hätte? Die Sekretärin kam mit unterschiedlichen Vorschlägen: zu kurz auf der Warteliste (seit 3 Jahren). Sprachkenntnisse nicht ausreichend (beim Vorstellungsbesuch vom Direktor gelobt für das nette zweisprachige Gespräch). Zu jung (nein, im April geboren). Ja, dann wüsste sie auch nicht so genau warum eigentlich. ..... Ob wir auf die Warteliste wollten (nein, wir waren sauer. Haben uns aber trotzdem auf die Warteliste setzen lassen. Eigentlich nur aus Prinzip. Doofes deutsches Schulsystem.).
Man muss mir meine etwas kindische Reaktion verzeihen. Ich selbst bin glücklich überlebendes Opfer des deutschen Schulsystems. Mit reiner Mädchenklasse, katholischem Gymnasium (damals noch mit wöchentlichem Schulgottesdienst (mit Anwesenheitspflicht) und übrigens einer fantastischen Nonne als Klassenlehrerin), Klassenwiederholung, Schulwechsel, Schulwechsel, usw. Bis zum bitteren Ende als mir die Institutssekretärin freudestrahlend mein MA-Zertifikat überreichte. ;0) Sie verstehen das gespannte Verhältnis, ja?

Mein nächster, sehr pragmatischer Gedanke war: Verflixt, dann eben doch auf eine kommunale Schule in der Heimatkommune. Wir sind schließlich immer noch in Schweden und auch wenn man den Spitzenplatz in der Schulbildung gerüchteweise an Finnen und Niederländer abgeben musste - sooooo schlimm kann das ja selbst in einer Kommune mit zweifelhaftem Ruf aber netten Einwohnern doch gar nicht sein. Ich begann mich genauer umzuhören, schließlich hatte ich ja drei Schulen als Pflichtwahl angegeben und das Ergebnis war .... katastrophal. Die Schule auf der das Kind angemeldet war. ist erstens groß (rund 1000 Schüler bis einschließlich Klasse 9), zweitens permanent personalmäßig unterbesetzt (die größeren Kinder sollen dann als Vorbilder für die kleinen fungieren) und insgesamt ist die Instandhaltung der Schulen in der gesamten Kommune eher .... lieblos (schmeichelhaft ausgedrückt). Mir war nicht mehr nur schlecht, mir war k...übel. Eine Schule in unserer Nähe wurde mir als wenigstens solide empfohlen. Also wurde das Kind dort panisch eingeschrieben. Kurz darauf statteten wir dieser Schule einen Besuch ab und wurden von einer sehr, sehr netten Lehrerin und Direktorin empfangen. Der Zustand der Gebäude war allerdings leicht gräuslich und trotz im letzten Jahr groß angekündigter Sanierungsmaßnahmen war offensichtlich noch gar nichts passiert. Die Schülerzahl war geringfügig besser und das Betreuungkonzept klang gut, bis wir erfuhren, dass für dieses Schuljahr 80 Kinder in der Nachmittagsbetreuung mit maximal 6 Lehrern angesetzt waren.... wenn dann alle 6 Lehrer gleichzeitig mal da wären, bedeutete dies ein Betreuungsverhältnis .... im Geiste hing ich über der Kloschüssel.

Mittlerweile hatte ich nämlich das Prinzip Vorschule verstanden: während der Unterricht im klassischen Sinne in diesem ersten Schuljahr, das hier bewusst mit Klasse 0 bezeichnet wird, nur einen Teil ausmacht (Rechnen und Zahlen bis 10, wenn individuell möglich erstes Lesen und etwas Schreiben, Sport, Hygiene) geht es darum, die Kinder anhand unterschiedlicher thematischer Aktivitäten an das Lernen und eigenständiges Arbeiten heranzuführen. Um Kinder auf diese Weise auf die Schule einzustimmen, braucht es eben Personal und das nicht nur in den 3, 4 Schulstunden Unterricht, sondern besonders gerade in den Betreuungszeiten davor und danach. Also fing ich an, mögliche Schulen in Stockholm anzurufen. Das 2007 ein geburtenstarker Jahrgang war, wusste ich ja schon. Manche waren empört, dass ich überhaupt einfach so anrief, man hatte alle Plätze gefüllt und musste viele andere Kinder abweisen, andere setzten uns auf Wartelisten mit unterschiedlichen Erfolgsaussichten (die Warteliste der englisch-chinesich-schwedisch-sprachigen Montessorischule umfasst rund 5000 Kinder, wie man mir mitteilte ;o) ) und  eine andere  Schule erbot sofort einen Platz, was irgendwie auf nichts Gutes schließen lies. Eine kurze Recherche brachte eine mangelhafte Bewertung durch das Schulwerk zu Tage. Nach rund einer Woche bangen bekam ich dann eine freundliche E-Mail einer englisch-schwedisch-sprachigen Schule. Man hätte einen Platz, wir sollten uns bitte schnell melden. Ich antwortete umgehend und ein paar Tage später waren wir zum Gespräch in der Schule. Der Direktor wirkte kompetent und freundlich, das Schulkonzept gefiel uns und vor allem befand sich die Betreuung auf einem Niveau, das für Schweden als normal angesehen werden kann. 27 Kinder in einer Klasse (leider 2 mehr als mir lieb wären, aber ok) und drei Lehrer, davon ein Englisch-Lehrer, eine Schwedisch-Lehrerin und ein Vorschullehrer, die gemeinsam ihre Klasse von Morgens bis Mittags circa 3 Uhr durch den Tag begleiten, als Team. Mir ging es schlagartig wieder besser. Die Schülerschaft ist sehr international gemischt. Das Gebäude ist zwar auch ein etwas liebloser Betongbau, aber wenigstens anständig in Schuss gehalten und mit viel grün drumherum (auch wenn ganz unten eine Hauptverkehrsstraße entlangläuft so wirkt der Schulhof doch noch in bescheidenem Maße idyllisch).

Was mir spontan auch zusagte war die Bilingualität, da ich glaube, dass besonders unsere Tochter es leicht hat, Sprachen zu lernen und ich gerne dieses Talent fördern wollte. So kann sie nun ihr Englisch perfektionieren. Glaubt man dem aus Großbritannien stammenden Englischlehrer, so könnte sie in einigen Wochen vollständig flüssig im Englischen sein, was natürlich auf ihren Vorkenntnissen und der Tatsache beruht, dass wir zu hause täglich Englisch sprechen. Im Moment versuche ich noch den Muttersprachenunterricht organisiert zu bekommen, denn leider ist sie das einzige Kind mit Deutsch als Muttersprache an der Schule (wir hatten überlegt sie in den Hindi-Unterricht rein zu schmuggeln ;o) ) und theoretisch hätte sie Anspruch auf 5 Stunden pro Woche. Wenn es aber für dieses Halbjahr noch nicht klappen sollte, dann hoffentlich für das nächste, ich müsste sie dann nämlich an einem oder zwei Tagen noch an eine andere Schule bringen.

Seit Dienstag ist die Tochter also in der Schule und im Moment ist sie hochmotiviert. Mal sehen, wie lange das anhält. Jeden Morgen liefern wir sie zwischen 8 und 8:30 Uhr ab, sie kann dann noch in Ruhe frühstücken und um 9 beginnt der Unterricht. Abholen werde ich sie in Zukunft um circa 15 Uhr. Glücklicherweise liegt der Kindergarten auf der Strecke, sodass die Jungs alle mit ihr in einem Schwung gebracht und abgeholt werden können. Vorläufig heißt das für uns erstmal: Ende gut, alles gut.