Sunday, June 6, 2010

Mentalitätsunterschiede (1)

Während wir also gut 3,5 Wochen im recht grauen Deutschland - oder zumindest in meiner recht regen-verhangenen Heimatregion - weilten, ist mir die eigene Skandinavisierung aufgefallen, sozusagen. Bei den wenigen Malen, anlässlich derer ich neben der eigenen FAmilie und alten Freunden mit der deutschen Kinderfreundlichkeit in Kontakt kam, hat mich dies sehr verblüfft. Alles kann man sicher nicht verallgemeinern und es sind natürlich subjektive Eindrücke, trotzdem möchte ich diese doch irgendwie gerne noch los werden.

1. Eltern haften für ihre Kinder. Dieses Schild habe ich in Schweden - ungelogen - noch NIE gesehen. Ich habe diesen Hinweis hier so noch nie gesehen, dass mir dessen Existenz in deutschen Landen völlig entfallen war. Das mag daran liegen, dass erstens Eltern hier nicht daran erinnert werden müssen, dass sie für ihre Kinder verantwortlich sind und zweitens, dass viele für Kinder ausgerichtet Anlagen eben auch "kindgerecht" sind. Und zwar für alle Altersgruppen.
Eine gegenteilige Erfahrung machte ich in Deutschland. In der nächstgelegenen Stadt hatte irgendwann im letzten Jahr (?) ein Mega-Gartencenter eröffnet, eines mit allem Pipapo ... Pflanzen, Deko, Geschirr, Haustieren, Brunnen, Restaurant, Café ... man kann die Liste endlos fortführen. Da meine Nichte sich Rennmäuse zum Geburtstag wünschte, führte unser Weg uns also eines Tages dorthin. Und ich kam tatsächlich aus dem Staunen nicht mehr heraus, ein wahrer Tempel des Garten-Kommerzes mit allem, was das Hobby-Gärtner-Herz sich nur so wünschen kann. In diesem Gartencenter gibt es als zusätzliche Attraktion also auch noch ein "Playcenter" für Kinder. So eines, wo man also relativ gefahrlos klettern, rutschen und toben kann und das vom Prinzip sehr dem "lekpark inomhus" entsprach, in dem ich just Ende April war. Am Eingang fanden sich mehrere Hinweisschilder. "3 bis 6 Jahre" stand da auf einem zu lesen. "Eltern haften für ihre Kinder" auf einem anderen und "Regeln für die Benutzung" auf einem dritten. Da ich nichts falsch machen wollte, habe ich mir also erst brav die Regeln durchgelesen. Mehrmals wurde darin erwähnt, dass die Eltern ihrer Aufsichtspflicht nachkommen müssen. Gut, dacht ich mir mit Blick auf die Anlage, dann muss ich mit meiner kurzen 3-jährigen eben in das Ding rein, um zu sehen, ob das auch klappt.
Gesagt getan.
Gleich nach dem Eingang befand sich eine Tunnelrutsche, die gut 3 bis 4 Meter spiralförmig "in die Tiefe ging" und in die Amélie sofort hinein wollte. Da die Kinder unkontrolliert rutschten, ich hörte, dass einige Kinder irgendwo mitten auf dem Weg nach unten angehalten hatten und das Ding doch ziemlich lang war, brachte ich Amélie von der Idee ab. Amélie kann zwar tough sein, aber sie ist auch vorsichtig und erschrickt eben auch mal vor Dingen, die sie nicht voll abschätzen kann/konnte.
Weiter gings und wir kamen an eine gerade, gut einsehbare Rutsche, die in einem Ballbad (oder wie nennt man das) endete. Doof, dachte ich noch, dass Ballbad wäre schön für die ganz Kleinen gewesen, wenn es denn getrennt von der Rutsche gewesen wäre. Wir rutschten also und machten uns wieder auf den Weg nach oben. Dabei fiel mir auf, dass die "Stufen", die es zu erklimmen galt, Amélies Brusthöhe hatten. Sie hätte also nicht alleine wieder nach oben gekonnt. Zusammen sind wir also wieder rauf und nocheinmal runtergerutscht. Da erwartete mich auch schon eine Mitarbeiterin des Gartencenters.
Ich müsste da raus, Erwachsenen seien nicht erlaubt. Meine erste Reaktion war: "Oh Mist, klar, die wollen keine 50 übergewichtigen Eltern in dem Ding rumtrampeln haben, geht ja auch schlecht." Und ich habe mich ein bisschen geschämt. Aber dann ... "HALLO?" Ich kam nicht umhin die Dame - tatsächlich freundlich - zu fragen, wie ich dann bitte meiner so deutlich angemahnten Aufsichtsplficht nachkommen sollte. Ich bekam natürlich keine vernünftige Antwort. Das ganze sei eben dann doch für ältere Kinder, man könnte ja die großen Geschwister mitschicken (ich wies schmunzelnd darauf hin, dass Amélie ja schon die große Schwester sei) und man sollte sich ja vielleicht nicht so viele Sorgen machen, diese Anlagen seien sehr verletzungssicher. Sind sie auch, ich war ja gerade in einem schwedischen Exemplar, in dem diese Anlage so aufgebaut war, dass ich selbst meinen 1,5jährigen "alleine" lassen konnte, ohne ihn aus dem Blick zu verlieren und befürchten zu müssen, dass er irgendwo herunterstürtzt und/oder nicht hochkommt.
Kurz, ich habe mich hinterher ein wenig geärgert. Es wird glauben gemacht, man könnte sein dreijähriges Kind in dieser Anlage spielen lassen, aber man hat nicht darüber nachgedacht, diese auch tatsächlich so zu gestalten. Bereiche werden nicht altersgerecht abgegrenzt, sodass jedes Kind davon etwas hat, sondern die "Großen und Starken" sind klar im Vorteil. Statt dessen wird die Haftpflicht mit einem Haufen rechtlicher Hinweise von sich gewiesen und wenn man dann als Elternteil eben dieser Pflicht - nämlich sicherzustellen, dass das eigenen kleine Kind auch tatsächlich alleine in der Anlage klarkommt - wirklich nachkommen will, ist dies auch verboten. Ja was denn nun?

Ich kenne in Stockholm einen Spielplatz, der ein Extrem-Beispiel ist. Hier gibt es drei klar getrennte Bereiche - einen für Krabbelkinder bis circa 2 Jahre, einen für 3, 4 vielleicht auch 5 und 6-jährige und einen für "große" Kinder. Klettergerüste, Rutschen und Schaukeln sind diesen einzelnen Altersgruppen angepasst. Das besagte (ebenfalls privat betriebene) Playcenter, in dem ich kürzlich war, funktioniert nach dem gleichen Prinzip.
Im Prinzip ist jeder für Kinder gestaltete Raum/Spielplatz/was-auch-immer altersgerecht aufgebaut, alle Altersgruppen haben die Möglichkeit unter sich sicher spielen zu können. Dabei werden die Kinder selbstverständlich von mindestens einem Elternteil begleitet und beaufsichtigt, je nach Alter mehr und intensiver (unter circa 5 Jahre) oder eben weniger. Etwas anderes käme hier auch niemandem in den Sinn. Die auf der Bank sitzenden tratschenden Eltern sind für mich mittlerweile ebenso eine typisch deutsche Erscheinung wie das augenscheinlich vorherrschende Unvermögen im öffentlich zugänglichen Raum vernünftig auf die Bedürfnisse von Kindern aller Altersgruppen einzugehen.

1 comment:

TH said...

Gefällt mir Dein Bericht! Als deutsche Mutter wäre einem das bestimmt nicht aufgefallen, da man ja keinen Vergleich hat!