Wednesday, September 1, 2010

Telefon-Obsession

Die letzten drei Wochen hatte ich hinreichend Gelegenheit mich von der ausufernden Telefon-Obsession der Schweden in sämtlichen Lebenslagen zu überzeugen, die sich nicht nur durch eine ständige Präsenz von Mobiltelefonen in Bussen und sonstigen öffentlichen Räumen bemerkbar macht, sondern unter anderem auch durch die erstaunlich starke Präsenz von Ei-Fon-Geräten selbst bei 12 bis 14-jährigen und die Absprache von Besprechungsterminen, kleineren Ungereimtheiten im Arbeitsalltag per SMS. Da wäre zum Beispiel auch diese Szene, die ich vor zwei Tagen in einem Café beobachten konnte:

Beteiligte sind eine Mutter (um die 30) mit circa 5-jähriger Tochter, ein männlicher Bekannter/Arbeitskollege (ebenfalls um die 30) sowie eine weitere Freundin/Arbeitskollegin (ebenfalls um die 30). Zuerst kamen Mutter und Tochter an und da sie den Tisch direkt vor mir wählten, musste ich mich nicht besonders anstrengen, um die beiden mehr oder weniger freiwillig zu beobachten. Nachdem also beide zu trinken hatten, packte die Frau Mama ihr Ei-Fon aus und begann zu surfen/smsen. Das ging gut 10, 15 Minuten so und ich fing an, Mitleid mit dem Mädchen zu bekommen, das sich offensichtlich langweilte, aber dennoch bemerkenswert ruhig mit ihrer Mutter am Tisch saß und gelegentlich Kontakt suchte, indem sie ebenfalls auf das Ei-Fon starrte und ihrer Mutter die eine oder andere Frage stellte. Bald darauf kamen besagte Bekannte. Man legte die Taschen ab, holte sich etwas zu trinken (Stockholmer Cafés sind in aller Regel ohne Service, man holt alles an der Theke) und schließlich unterhielten sich alle, sagen wir mal, weitere 15 Minuten. So weit, so gut. Aufmerksam wurde ich wieder, als es auf einmal merklich still an dem Tisch wurde. Ich blickte von meiner Zeitung auf und da saßen nun alle drei Erwachsenen, jeweils mit einem Ei-Fon unterschiedlicher Generation ausgestattet und - surften, smsten, tippsten und machten sonstwas, mit sehr kurzen Unterbrechungen, die eigentlich nicht mal den Namen Wortwechsel verdienen, für bestimmt gut eine halbe Stunde in friedlicher Eintracht. Währenddessen saß ich am Nachbartisch und bekam den Mund nicht mehr zu.

Dies war für mich der das Gesamtbild abrundende Glanzpunkt einer mehrwöchigen Odyssee durch die Telefonsysteme von Finanzamt, Banken, Beratungsstellen und sonstigen Dienstleistungsanbietern, die einen grundsätzlich erstmal über ein quasi vollständig anonymisiertes Call Center hetzen bis man irgendwann, vielleicht, nach unendlicher Geduld und vielen, vielen Nachfragen und stundenlanger, merhmaliger Schilderung des eigenen Anliegens dann endlich, endlich entweder mit einem persönlichen (!!!) Gesprächstermin (= absoluter Triumph über das System!!!) oder aber mit einem Gespräch mit einem Sachbearbeiter belohnt wird. Das Ganze ist erträglich, wenn man Zeit hat und es um eine wenig dringliche Sache geht, das Ganze wird zum absoluten Drama inklusive mehrerer Nervenzusammenbrüche meinerseits, wenn man unter Zeitdruck steht und es um so unwesentliche Dinge wie ein Dach über dem Kopf geht.
Und wie ich das so beobachten und nach mehreren entrüsteten Ausbrüchen vor Freunden und Bekannten über diese in jeglichen Bereichen mangelnde Transparenz, die einen letztenldich zum Spielball von eher weniger kompetenten Telefonisten macht, feststellen konnte, findet man das hier zwar nicht unbedingt angenehm, aber doch normal und - ja, eigentlich A.K.Z.E.P.T.A.B.E.L. Mein sachter Hinweis, dass ich in Deutschland eigentlich fast immer - also wenigstens mal bei Behörden und kleineren bis mittleren Institutionen - direkt über das Internet den passenden Ansprechpartner plus zugehöriger direkter Durchwahl finden kann, den ich dann oft auch noch während der gesamten Bürozeiten anrufen kann (nicht nur für eine Stunde an zwei Tagen in der Woche) wurde meist mit einem schwedisch zurückhaltenden Hochziehen der Augenbrauen und "ja, wirklich?" quittiert, was quasi mit absolutem Unverständnis gleichgesetzt werden kann. Die einzig wirklich hilfreiche Antwort bot mir unser Finanzberater an, der meinte, dieser Umstand sei wohl einem etwas eigentümlichen und fehlgeleiteten Verständnis von Effizienz zu verdanken. Dies ließ mich verblüfft zurück, scheint mir aber tatsächlich die einzig mögliche Erklärung.

Das ist aber längst noch nicht alles. Gestern nun, als wir endlich sämtlich Unklarheiten aus dem Weg geräumt hatten und nur noch eine kurze, rückversichernde Absprache von maximal 2 min Dauer mit unserem Makler (mit dem wir in den letzten Wochen quasi permanent telefonisch Kontakt hatten und der daher fast schon als Telefon-Freund gelten kann) fehlte, der wiederum aufgrund des im Spätsommer kräftig anziehenden Immobilienmarkters fünfzigtausend Sachen im Kopf hat und während der letzten Gespräche durchaus etwas abwesend wirkte, da sagte ich also zum Herzallerliebsten: "Weißt Du was, bevor wir den guten Mann nun mit der 50.000 SMS und dem 100.000 Anruf nerven, auf die er eh nicht antworten kann, gehen wir doch einfach kurz gleich Morgens im Maklerbüro vorbei und sagen ihm das in zwei Minuten persönlich, dann wissen wir wenigstens, dass die Message angekommen ist und können uns zurücklehnen." (Anmerkung: Das Maklerbüro ist 3 min von unserer alten/neuen Wohnung entfernt und liegt genau auf dem Weg zur Bank). Entsetzen machte sich auf dem Gesicht des Herzallerliebsten breit und ich erhielt folgende Antwort: "Das geht ja nun gar nicht, das ist doch kein 'Drop-In-Büro'. Weißt Du, wie die uns angucken, wenn wir da persönlich auftauchen?"

2 comments:

Hansbaer said...

Meine Eindrücke sind da in Teilen ganz andere.
Gerade den Kontakt mit schwedischen Behörden finde ich ausgesprochen angenehm. Vom Finanzamt erhält man per Mail innerhalb weniger Tage kompetente Antwort, während Mail bei deutschen Behörden eher auf optionaler Basis beantwortet wird.
Zahlen habe ich keine, aber ich gehe schwer davon aus, dass schwedische Behörden ihren Dienst mit einem Bruchteil des Personaleinsatzes machen - da halte ich automatisierte Telefonsysteme für ein notwendiges Übel.

Der Feind der Effizienz ist da am ehesten der Hang zu endlosen Kaffeepausen.

NorthernLight said...

Hallo Hansbaer und danke für den Kommentar. Generell würde ich zustimmen und ja, gerade was den Personalbestand anbelangt. Sogesehen ist diese Vorgehensweise natürlich kosteneffektiver und auch sinnvoller. Es ist auch enorm praktisch, was man alles per Internet erledigen kann. Am Anfang jedoch hatten wir hier z.B. gar kein Internet, da die Wohnungssuche erheblich länger dauerte als kalkuliert und wir also behelfsweise wohnten - und damit teilweise erhebliche Probleme bekamen, weil wir permanent auf irgendwelche Internetdienste verwiesen wurden, die wir leider noch gar nicht nutzen konnten.
Die Nachteile zeigen sich auch wie immer, wenn Fälle vorliegen, die den Rahmen des Gewöhnlichen sprengen - und sich dann keiner zuständig fühlen will. So bei uns der Fall. Da ist es mir dann doch lieber, wenn ich direkten, transparenten Zugang zu einer Behörde habe und mich nicht mit halbgaren Antworten per Telefon zufrieden geben muss. Mir ist das in knapp zwei Jahren nun schon 3mal passiert - erst mit der Kommunalverwaltung, dann mit Försäkringskassa und nun mit Finanzamt und Banken. Und jedesmal nur, weil der vorgelegte Sachverhalt nicht ganz dem gängigen 0815-Schema entsprach. Ich will es im Detail nicht schildern, aber es ist teilweise schon erschreckend. Schön z.B. auch, dass im Stockholmer Servicekontor der Försäkringskasse und des Finanzamtes gar keine Finanz- und Sozialversicherungsbeamte mehr arbeiten, sondern Angestellte einer Servicefirma. Entsprechend kompetent fallen da die Antworten aus. Auch das konnte ich in den letzten Wochen hautnah erleben.

Zumindest das geben die meisten meiner Freunde und Bekannten dann auch zu, vor allem, wenn sie selbst eine Weile im Ausland gelebt und somit andere Systeme erlebt haben. Transparenz ist hier in vielen Fällen nicht unbedingt oberstes Gebot.