Wednesday, September 11, 2013

11. September 2003

Genau 10 Jahre ist es heute her, dass die damalige schwedische Außenministerin Anna Lindh ermordet wurde. Wie es sich für einen solchen Anlass gehört, wird in  den schwedischen Medien an die beliebte Politikerin erinnert, man stellt die unterschiedlichsten Spekulationen an und gibt zahlreiche Interpretationen der politischen Persönlichkeit Lindhs. Gerade habe ich einen interessanten Kommentar auf Dagens Nyheter gelesen, der diese ganzen Versuche recht treffend zusammenfasst, was man sowohl an Überschrift als auch Zusammenfassung am Ende ablesen kann:

När socialdemokratin förlorade sin framtid

Die Überschrift lautet also: "Als die Sozialdemokratie ihre Zukunft verlor" und der Kommentar endet mit der Feststellung, dass man nicht wissen kann, ob Göran Persson (damaliger sozialdemokratischer Staatsminister) in der Wahl 2006 tatsächlich zugunsten Anna Lindhs verzichtet hätte, wie er es heute immer wieder behauptet. Man könne aber davon ausgehen, dass Anna Lindh mit der Zeit Parteivorsitzende geworden wäre. Ob Sie dann die Erneuerungsbewegung der Sozialdemokratie nicht nur als soziales sondern auch wirtschaftliches Phänomen hätte durchsetzen können, wüsste man eben so wenig. Man wüsste nicht einmal, ob sie es versucht hätte. Man könne jedoch davon ausgehen, dass sie die Kapazität dafür gehabt hätte.

Mit Göran Persson als Staatsminister hatte Schweden nämlich radikal und vor allem sehr offen angefangen, sich von der Idee des "Folkhemmet" (= Volksheim) und damit mit dem Wohlfahrtsstaat schwedischer Prägung zu verabschieden. Grob könnte man sagen, was Gerhard Schröder für die deutsche Sozialdemokratie war, war Görran Persson für die schwedische. Damit erklärt sich dann auch fast von selbst, warum 2006 die Konservativen (die "Allianz" aus den vier konservativen Parteien Moderaterna, Kristdemokrater, Folkpartiet und Centrum) unter Reinfeldt recht "leichtes Spiel" hatten. Folgerichtig leidet Schweden heute unter dieser Verwässerung politischer Fronten auf beiden Seiten. Während Persson nämlich nicht mehr als Sozialist überzeugen konnte, musste Reinfeldt sich als Weichspülversion des Konservatismus verkaufen, um die Wahl 2006 zu gewinnen. Ähnlich lief das 2010, als auf Wahlplakaten im Sonnenschein unter grünen Bäumen kaffeetrinkende Bauarbeiter Zeugnis dafür ablieferten, dass die "Nya Moderaterna" ja die neue Arbeiterpartei Schwedens seien. (Übrigens recht guter Artikel über Reinfeldt, wenn auch schon ein Jahr alt und etwas reißerisch aber dennoch lesenswert und auf Deutsch: Der Machiavelli von Stockholm).

Zurück zum Ausgangsthema aber. Es war also mit dem Mord an Anna Lindh zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit der schwedischen Geschichte vorgekommen, dass eine durchaus potente politische Figur gewaltsam beseitigt wurde und entsprechend tief sitzt die Wunde heute noch. Schaut man sich den weiteren Verlauf der Dinge an, wie ich ihn oben skizziert habe, sind weitere Erklärungen fast unnötig. Meiner Meinung nach wurde mit Anna Lindh nämlich wirklich eine weitere politische Alternative getötet. Der Mord gilt als aufgeklärt und scheint nicht politisch motiviert gewesen zu sein, der Täter gilt als psychisch gestört. Für mich als in diesen Fällen überzeugten Skeptiker ist es dennoch unfassbar, dass dies ein "Zufall" war. Man kann das auf die Lektüre zu vieler amerikanischer Politthriller oder das Schauen zu vieler Filme oder meine leichte Neigung zum Aberglaube und Verschwörungstheorien schieben ... oder auch auf's Karma .... ;o)

Ich erinnere mich noch gut, dass mich das Ereignis damals erschütterte. Nicht, weil ich irgendetwas mit Schweden zu tun gehabt hätte (im Gegenteil, zu diesem Zeitpunkt hatte ich gerade ein Flugticket nach Mexiko gebucht, dass ich im Dezember 2003 stornierte und in ein Flugticket nach Brasilien tauschte). Es machte mich traurig, weil selbst in einem kleinen Land wie Schweden ein Politiker nicht mehr einer unter vielen sein konnte, sondern von nun an Personenschutz benötigte und sich abgrenzen musste. Weil selbst in einem westlichen Land der (irgendwie politisch bedeutsame) Andersdenkenden eine so große Gefahr darstellte (egal nun, ob für eine ganze Gruppe oder einen Einzeltäter), dass er beseitigt werden musste. Weil es sich um eine Frau handelte, die nicht nur Mutter war, sondern gute Chancen hatte, die politische Führungspersönlichkeit in ihrem Land zu werden und einen Weg zu ebenen, der jenseits von fundamentalistischen kapitalistischen oder sozialistischen Ideologien lag. Denn heute regiert wie in den meisten westlichen Ländern auch in Schweden der (Neo-)Konservatismus, auch wenn man hier erst langsam aufwacht, sich die Augen reibt und fragt: wie konnte das eigentlich passieren?

No comments: