Tuesday, February 8, 2011

Geburtsbericht

Genau 4 Wochen ist er nun schon "alt", unser Neuzugang. Vier Wochen ist die Geburt schon her und zum ersten Mal kann ich mit ruhigem Gewissen behaupten, dass ich schon dabei bin, die Geburt und die Schmerzen wieder zu vergessen. Bei Amélie und Jonah hing mir die lebhafte Erinnerung an diese denkwürdigen Ereignisse wesentlich länger nach. Bevor also die letzten unverwaschenen Erinnerungen im Dunkel des Vergangenen entschwinden, endlich ein ausführlicher Bericht des ganzen Dramas, denn es war fast ein klassisches Drama in drei Akten ...

Prolog
Dem aufmerksamen Blog-Leser ist ja bekannt, dass der Geburtstermin für den 31. Dezember 2010 berechnet war. Dieser kam und ging und ganz erwartungsgemäß ließ Yoshua sich nicht blicken. Die ersten zwei, drei Tage war die Erleichterung darüber so groß, dass ich mir gar keine weiteren Gedanken machte. Wir hätten an diesem Tag/Abend nämlich enorme Schwierigkeiten mit der Betreuung unserer anderen beiden Augensterne gehabt. Allerdings quoll ich auf einmal auf wie ein Hefekloß und fühlte mich noch unbeweglicher als zuvor. Die Tage verstrichen geradezu unbemerkt und eine Woche später überlegte ich mir, dass doch so langsam mal etwas passieren könnte. Senkwehen hatte ich ja nun schon zwei, drei Wochen lang und nur einmal, am Mittwochabend , dem 5. Januar, dachte ich kurz, dass es vielleicht doch endlich los geht. Ich begab mich allerdings erstmal ins Bett (eine Geburt mitten in der Nacht, nö, nicht mit mir, dachte ich) und am nächsten Morgen war von Wehen nichts mehr zu spüren. Am Wochenende begann ich dann allerdings zu grübeln, dass eine Einleitung nicht gerade rosigen Aussichten entsprach und dass die letzten Tage dann doch irgendwie verschwendet und surreal waren, denn da hingen wir alle auf einmal in der Warteschleife. Ich fühlte mich wie in Watte gepackt, nichts schien mehr zu gehen, alles war auf Stop gestellt und das einzige, große Ziel war die Geburt. Dabei war ich gar nicht besonders genervt oder aufgeregt, es war eben einfach so. Also machten wir Sonntags einen laaaaaangen Spaziergang mit den Kindern.

Akt 1
Und da waren sie dann auch wieder, gleich als wir nach Hause kamen. Die fiesen Wehen von Mittwochabend. Wie ein Stich mit einer Stricknadel genau unter den Bauchnabel fühlte sich das an. Und die Wehen wurden im Laufe des Abends stärker und wieder dachte ich mir: nö, nicht des Nachts. Ich lege mich ins Bett. Gesagt getan. Ab 12 Uhr wanderte ich dann ungefähr stündlich aufs Klo. Gegen 4 oder 5 konnte ich nicht mehr wirklich schlafen und musste nach jeder Wehe auf die Toilette. Morgens um 7 begann ich mir ernsthaft Sorgen zu machen, ob ich nicht vielleicht doch einen Blasensprung hatte, das fühlte sich alles sehr merkwürdig und vor allem richtig schmerzhaft an. Um circa 10 Uhr machten wir uns auf den Weg ins Krankenhaus, die Kinder lieferten wir auf dem Weg im Kindergarten ab. Bis dahin lief alles nach Plan. Seit Wochen schon hatte ich gesagt, dass es am praktischsten wäre, wenn wir Morgens einfach die Kinder im Kindergarten abliefern könnten, die Geburt während des Tages "hinter uns" bringen und der Mann am Abend wieder nach Hause geht.
Im Krankenhaus kam ich dann erstmal ans CTG, in 40 Minuten 2 Wehen, "die auch weh tun", sagte die Hebamme: "Das kann ich sehen." Aber Geburt - eher nicht. Natürlich, dachte ich, sobald ich im Krankenhaus bin, entspanne ich jedesmal derart, dass circa 1 STunde fast gar nichts passiert und dann geht es wieder los. Ich bestand also darauf, von einem Gynäkologen untersucht zu werden, ich wollte sichergehen, dass wirklich noch alles da war, wo es sein sollte. Kein Blasensprung, wurde mir dann von der netten Ärztin bestätigt, aber der Schleimpfropf war weg und der Muttermund 2 cm geöffnet. Innerhalb der nächsten 48 Stunden würde das Kind wohl kommen. Dann wurden wir nach Hause geschickt, gewappnet mit einer Schlaftablette für die Nacht und zwei starken Schmerztabletten. Wenn die Schlaftablette nicht wirke, meinte die Hebamme noch, dann handele es sich wohl um Geburtswehen, ansonsten sollten die Schmerzen verschwinden. Kaum hatten wir das Krankenhaus verlassen, wurden die Wehen wieder stärker.

Akt 2
Zuhause dann nahm ich also erstmal eine Schmerztablette und die Wehen wurden so erträglich, dass ich immerhin bis 22 Uhr auf der Couch sitzen konnte. Dann wurden die Wehen wieder stärker und ich nahm die zweite Schmerztablette und die Schlaftablette. Ich wollte mich vor der Geburt ausruhen. Um genau 12 Uhr wurde ich das erste Mal wach, das nächste Mal um genau 1 Uhr und dann wieder um 2 Uhr. Danach konnte ich nicht mehr schlafen. Bei jeder Wehe stand ich auf, stehend konnte ich die Wehen zwar auch nicht veratmen (immer noch dieser fiese, punktuelle Stich unter dem Bauchnabel), aber sie waren wenigstens auszuhalten. MOrgens um 7 lagen meine Nerven dann ziemlich blank und ich konnte mich weder setzen, noch legen. Beziehungsweise konnte ich das schon und die Wehen waren dann auch nicht mehr so schlimm, kamen dann aber doppelt und dreifach so ausdauernd und schmerzhaft zurück, wenn ich versuchte mich wieder aufzurichten. Also stand ich ab 7 Uhr Morgens in der Gegend rum und hatte Schmerzen. Der Mann rief im Krankenhaus an und musste erstmal eine unnötige Diskussion mit der diensthabenden Hebamme führen, ob dies nun Geburtswehen seien oder nicht. Weil sie das über das Telefon natürlich auch so gut beurteilen konnte. Wir waren beide ziemlich sauer. Nach einigem hin und her kam dann aber heraus, dass die Geburtsstation mittlerweile voll belegt war und wir auf ein anderes Krankenhaus ausweichen mussten. Lustigerweise war dieses zweite, etwas entfernter gelegene Krankenhaus ohnehin mein Wunschkrankenhaus gewesen. Aber irgendwie waren wir mittlerweile doch etwas verunsichert und ich begann mir Sorgen zu machen. Wenn das jetzt auch nicht richtig los geht, dann vielleicht Kaiserschnitt, weil das Kind raus MUSS? Ist das gefährlich für das Kind? Warum bloß habe ich diese beknackten Wehen und warum bloß nur im Unterleib? Kann ich die jetzt bitte auch mal im Rücken (oder sonstwo) spüren, damit ich die veratmen kann? Und: ich will nicht sitzen, nicht liegen, ich will nur stehen, bitte, bitte, ich will mich nicht in dieses Auto setzen müssen. Also wieder Kinder ins Auto, am Kindergarten (der genau bei Krankenhaus Nr. 1 liegt) vorbei und ab zu Krankenhaus Nr. 2. Im Auto nur 2 gemeine Wehen. Einerseits war ich erleichtert (wenig Schmerz!!!) andererseits beunruhigt (keine Geburt???)und ängstlich (komme ich jemals wieder aus diesem Sitz???). Grundsätzlich war ich so erschöpft, dass ich theoretisch jede Sekunde in Tränen hätte ausbrechen können. Ich verkniff es mir.

Akt 3
Schließlich kamen wir um 12 Uhr am Krankenhaus an und nach einiger Verwirrung bezüglich des richtigen Eingangs begrüßte uns an einer Tür eine freundliche Krankenschwester: "Herzlich Willkommen! Was kann ich Ihnen abnehmen? Bitte hier entlang!" Wir liefen einen Flur entlang und ich merkte, dass sich unserem kleinen Trupp noch jemand angeschlossen hatte. Ich drehte mich um. "Hallo, ich schaue nur, dass hier alles gut läuft." Ein junger, (sehr) großer Mann ging hinter mir. "Ah, ein Pfleger," dachte ich. "Hallo, ich bin Niklas, Ihre zuständige Hebamme (er sagte tatsächlich "barnmoska")." Ich dachte, ich höre nicht recht. (Zugegeben, ich bin da etwas ignorant, Geburten sind für mich Frauensache, obwohl ich vom Schamgefühl her z.B. kein Problem mit Gynäkologen habe. Vor Jahren nur habe ich irgendwann für mich beschlossen, dass Frauen einfach einen natürlicheren Zugang zu der ganzen Geschichte haben). Meine Zweifel standen mir ins Gesicht geschrieben, ich konnte es spüren. Erleichterung machte sichbei mir breit, als wir direkt in einen Kreissaal geführt wurden. In dieser Sekunde dachte ich nur: wir bleiben. Ich schilderte Niklas also kurz die Lage und der stellte dann auch keine großen Fragen mehr. Er schloss mich auf meine Bitte hin im Stehen ans CTG an, legte mir die Kanüle und ich warf begeistert meine Kleider von mir und zog das Krankenhaus-Nachthemd an. Vielleicht zog ich auch erst meine Kleider aus und er legte mir dann die Kanüle an, aber wen interessiert das schon.
Die Wehen kamen dann auch regelmäßig, deutlich unter 10 Minuten und die Skala des CTGs reichte nicht, um die Stärke anzuzeigen. Niklas erwies sich derweil als sehr sachkundiger, dezenter, angenehmer und geschickter Geburtshelfer. Kurz, Niklas war mit Abstand die beste Hebamme, die ich jeh unter einer Geburt hatte. Nach 40 Minuten im Stehen waren die Wehen so stark, dass ich nur noch: "Macht jetzt was, das geht auf einmal so schnell" japsen konnte. Danach konnte ich dann auch nicht mehr reden. Wohlwissend, was auf mich zukommt, hatte ich dieses Mal bei jeder Gelegenheit im Vorfeld erwähnt, dass ich bitte eine Rückenmarksbetäubung wollte. Wir erinnern uns: Amélie kam ganz ohne auf die Welt (da hatte ich mir darüber überhaupt keine Gedanken gemacht), bei Jonah war es in letzter Sekunde und reichte gerade noch für die Austreibungsphase. Diesmal sollte es klappen. Als die Wehen gerade angefangen hatten, vollkommen die Kontrolle über mich und das Geschehen zu übernehmen, erschien die Anästhesistin (mein Gedanke diesmal: "Oh wie gut, eine Frau. Das kann nur gut klappen." Ich Chauvinistin aber auch.) Wir hatten mit Niklas schon kurz besprochen, dass es eine Spinalanästhesie werden würde. Also eine vollständige Betäubung, die allerdings auch nur 2 bis 3 Stunden anhält und daher nur bei Mehrfach-Müttern eingesetzt wird. Im Liegen (Fötusstellung, passenderweise) und auf dem Höhepunkt einer Wehe setzte mir die Anästhesistin die Nadel ins Rückenmark. Danach spürte ich die Wehen immer flacher, immer schwächer, immer weniger ... und nach 10 Minuten: WEG. Die Schmerzen waren einfach weg.
Ich schlug die Augen auf, sah meinen Mann an und sagte: "Wow. That is the real stuff. I want more of that." Und nach einer etwas überraschten Pause: "I am a reasonable person again." Nach rund 45 Stunden Schmerzen konnte ich mich endlich wieder vollkommen normal bewegen, unterhalten und vor allem ... entspannen. Ich stand auf und kreiste mit den Hüften, damit das Kind besser im Geburtskanal vorankam. Ich unterhielt mich mit meinem Mann darüber, wer die Kinder vom Kindergarten abholen sollte. Ich hielt seine Hand (oder er meine oder wir unsere oder wie auch immer) und wir unterhielten uns über die gefühlte Odyssee, die wir bis zu diesem Punkt durchgemacht hatten. Mein Mann konnte entspannen und musste mich nicht mehr bei jeder Wehe stützen. Nach diesem physiologischen Sturm waren wir sozusagen am rettenden Ufer angelangt.
Dann wechselte das Hebammenteam, aber nicht ohne das ich Niklas, der männlichen Hebamme, noch ausführlich für seine wirklich fantastische Arbeit dankte. Wir behielten die Zeit im Auge und 1,5 Stunden später begann die Austreibungsphase. Hier zeigte sich allerdings der Nachteil der Spinalbetäubung: ich spürte die Presswehen nicht wirklich, dafür aber sehr genau, wie sich in meinem Unterkörper alles schmerzhaft dehnte und weitete. DAs führte (meinem Empfinden nach) dazu, dass die Hebammen mich etwas zu früh zum pressen animierten, was nicht sehr angenehm war. Man wollte mir dann schon wieder einen wehenverstärkenden Tropf anhängen, aber da beschloss ich so ganz für mich, dass wir das doch lieber so hinkriegen könnten. Kurz, zum ersten Mal habe ich die Geburt meines Kindes wirkich bewusst miterlebt und zwar jeden Schritt und das war herrlich. Yoshua wurde um 15:20 Uhr geboren und er lag auf meiner Brust, und schimpfte und schimpfte und schimpfte. Es dauerte etwas bis er die Brust fand und im Gegensatz zu Jonah saugte er sich auch nicht gleich fest, sondern musste zu meiner Belustigung etwas üben. Der Herzallerliebste schnitt irgendwann die Nabelschnur durch und wir begannen, unseren zweiten Sohn kennenzulernen. Yoshua wog 3510 Gramm (wie Amélie), war 51 cm lang (wie Jonah) und hatte einen Kopfumfang von 34 cm. Dünn sah er aus und ein feines Gesichtchen hatte (hat) er.

Epilog
Von den drei Geburten, die ich selbst erleben durfte, war dies die Geburt, bei der wir am meisten selbstbestimmen durften. Es war ein wunderbares Gefühl, regelmäßig gefragt zu werden, ob man noch etwas essen oder trinken wolle, ob einem kalt sei, ob man zur Toilette wollte, ob man die Position wechseln wolle, ob man bestimmte Wünsche hätte, oder ob einem generell die ganze Situation angenehmer gemacht werden könnte. Bis die zweite Schicht kam, die dann die eigentliche Geburt übernahm, war Niklas immer geschäftig, aber nie aufdringlich im Hintergrund. Immer da, wenn man ihn brauchte und immer bemüht, einen zu unterstützen und sacht aber bestimmt auf Kurs zu halten, ohne diktieren zu wollen. Auch das Geburtsteam fragte mich erstmal, wie genau ich denn die Geburt haben wollte? "Wir schauen einfach, was passiert," sagte ich. Als ich mein Erstaunen über die Betäubung äußerte, lachte die leitende Hebamme und sagte:"Ja, auf diese Weise kann man auch gebähren. Erstaunlich, oder?"
Ich konnte ihr nur zustimmen.
Alle drei Geburten, die ich erlebt habe, waren auf ihre Weise wunderbar, eigentlich ziemlich unkompliziert und hatten vor allem ein wundervolles Ergebnis. Aber eigentlich würde ich mir wünschen, dass jede Geburt genau so ablaufen könnte wie diese letzte, denn wir fühlten uns richtig umsorgt.

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