Sunday, February 5, 2012

Die Schweden und die Höflichkeit

"Duzen, Siezen, Nizen"


Für einen Sonntag ein ganz interessanter Artikel in der FAZ über schwedische Sprachgewohnheiten, auch wenn ich von dieser Debatte noch nichts mitbekommen habe (auch nicht in Dagens Nyheter) und mich frage, woher der Journalist seine wertvolle Information hat. Allerdings frage ich mich auch, wo viele Leute die flotte Überzeugung herhaben, dass die Schweden "unkompliziert" seien, denn das hört man ja tatsächlich öfter. Nur am "Du" kann es ja kaum liegen. Vielmehr vermutlich an den höflich neutralen, von leichtversteckter Neugier geprägten Reaktionen, die man erhält, wenn man jemanden anspricht, um zum Beispiel - ganz banal - nach dem Weg zu fragen. Oder irgendetwas anderem. Und natürlich sagen die Schweden dann "Du", zum "Ni" besteht in solchen Situationen kein Anlass. Die Höflichkeit findet sich in vielen Konjunktiv-Konstruktionen, der genauen Wortwahl und eben dem höflich zurückhaltenden und neutralem bis lächelnden Gesicht bezw. der Mimik. Ich habe so den leisen Verdacht, dass es eher eine deutsche "Unart" ist, von einem oberflächlichen Phänomän (hier: "DU" gepaart mit höflich-neutraler Reaktion) bei interkulturellen Begegnungen gleich ganze Theoriegebilde aufzubauen, ohne tatsächlich zu verstehen, was da in der Situation eigentlich genau passiert. Mich selbst nehme ich da nicht raus.

Irgendwie passt das auch ganz schön zu dem unten verlinkten Interview, wie ich finde. Der Reporter fragt Engdahl, ob "Deutschland das Schweden für Erwachsene" sei und wer Engdahl genau zuhört, wird aus der Antwort erfahren, dass er das sicherlich nicht so sieht. Trotzdem wird diese Frage selbtbewusst als Überschrift für das Interview verwendet. Mich würde interessieren, wie Engdahl das findet ... :O)

So hat es meine frühere Linguistik-Professorin denn für den Artikel auch schön auf den Punkt gebracht: „Das sind allesamt Fehlschlüsse“, kontert die Mainzer Sprachwissenschaftlerin Damaris Nübling. Die Wirkung von Sprachpolitik sei äußerst begrenzt, das „Ni“ in Schweden empirischen Untersuchungen zufolge nie ganz verschwunden gewesen, von der sozialen Schichtung ganz zu schweigen. Um sie sprachlich zu markieren, sei aber nicht unbedingt ein Höflichkeitspronomen wie das deutsche „Sie“ nötig, auch Intonation und Wortwahl, Mienenspiel und Gestik könnten diese Funktion übernehmen. Wer beseelt aus dem Schwedenurlaub zurückkehre, habe dies nur noch nicht durchschaut.

Intonation und genaue Wortwahl, Mienenspiel und Gestik - meiner Erfahrung nach sind Deutsche (und ich spreche aus eigener Erfahrung in doch wenigstens drei unterschiedlichen Ländern) im Entschlüsseln dieser Zusatzinformationen nicht besonders geübt, meist werden sie sogar gänzlich übersehen oder können gar nicht gedeutet werden, besonders wenn es sich um andere Ethnizitäten handelt. Offensichtlich verlässt man sich dann automatisch nur auf das geprochene Wort. Die gemeinen Schweden im Gegensatz dazu sind sehr geübt darin, diese Zusatzinformationen zu lesen und zu deuten, meiner Meinung nach einer der kulturellen Unterschiede zwischen Schweden und Deutschen und mit ein Grund, warum Schweden Deutsche oft auf den ersten Blick als unangenehm empfinden: zuviele ungefragte Information wird mitgeliefert ... :O)

No comments: